Landes­fachstelle Präventionder Sucht­kooperation NRW

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Zwischen Spielspaß, Mediatisierung und Internetabhängigkeit

06.08.2015RN

Zur Zeit läuft in Köln die Gamescom, die größte Spielemesse Europas. Tausende Begeisterte von Onlinespielen, ob Jugendliche, Erwachsene oder auch Spieleentwickler informieren sich über Trends, neue Spiele und technische Entwicklungen. Neben der Euphorie über diese beliebte Freizeitbeschäftigung, die zugleich ein immer stärker boomendes Geschäftsfeld darstellt, gibt es aber auch mahnende Stimmen. Zunehmende Mediatisierung des Alltags, Gewaltdarstellungen und Suchtpotenzial beinhalten Gefahren sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene.

„Internetabhängigkeit“ – darunter fällt auch das exzessive Spielen von Onlinespielen, wie Bert te Wildt in seinem aktuellen Buch „Digital Junkies“ erläutert. Der Autor ist Privatdozent und leitender Oberarzt der Medienambulanz in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum.

 

Seit vielen Jahren behandelt er Menschen mit Internetabhängigkeit – eine Krankheit, die noch keine offizielle Anerkennung als Verhaltenssucht im aktuell gültigen Kriterienkatalog für psychische Erkrankungen DSM-V gefunden hat. Sie ist allerdings unter dem englischen Begriff „Internet Gaming Disorder“ im Anhang aufgenommen. Te Wilds Buch beinhaltet eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Forschungsstand und mahnt weitere wissenschaftliche Langzeitstudien an, die auch die gesellschaftlichen Veränderungen durch die „Digitale Revolution“ mit einbeziehen.

Er beschreibt im ersten Teil des Buches anhand von Fallbeispielen aus seiner Praxis das Krankheitsbild der Internetabhängigkeit mit den drei Schwerpunkten Onlinespiele, Cybersex und Soziale Netzwerke. Er stellt heraus, dass diese Verhaltenssüchte ähnliche Reaktionen im Hirnstoffwechsel bewirken wie Alkohol oder andere Drogen. Analog dazu stellt te Wildt einen Kriterienkatalog vor, bei dem z.B. Dosissteigerung, Kontrollverlust, ständige gedankliche Beschäftigung mit Internetaktivitäten eine wichtige Rolle bei der Diagnose spielen. Ein typische Frage, die seine Patientinnen und Patienten sich stellen ist: „Bin ich überhaupt am Leben, wenn ich offline bin?“ Für Menschen, die täglich 10 bis 12 Stunden oder mehr online sind, ihren Ausbildungs- oder Arbeitsplatz verloren haben, keine Freundschaften mehr pflegen und kaum noch regelmäßig essen und schlafen, ist das eine existenzielle Frage, da sich ihr gesamtes Leben um z.B. World of Warcraft, Pornoforen oder soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder WhatsApp dreht. Als wichtigstes Prinzip arbeitet te Wildt heraus, dass die Betroffenen versuchen, durch ihre Aktivitäten im Internet reale Mängel zu kompensieren: Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte z.B. nach Anerkennung, Erfolg, Freundschaften oder Sexualität, die sich in der wirklichen Welt nicht umsetzen lassen.

Neben Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten widmet der Autor den Themen Prävention und gesellschaftliche Bedingungen einen breiten Raum. Stichwort ist die „digitale Revolution“, die Gesellschaft, Arbeitswelt und Freizeit durch die Mediatisierung stark verändert hat. Bildschirmmedien und Internet sind allgegenwärtig – sie erleichtern vieles, verdrängen aber den persönlichen Kontakt und körperliche Erfahrungen immer stärker. Auf diese Erfahrungen und direkte Erlebnisse, die nicht medial vermittelt werden, sind Kinder beim Aufwachsen aber angewiesen, um sich gesund entwickeln zu können. Dazu gehören auch „analoge“ Kulturtechniken wie Lesen, mit der Hand schreiben und körperliche Erfahrungen in Spiel und Sport mit anderen Menschen. Der Autor plädiert dafür, der zunehmenden Vernetzung aller Lebensbereiche, Datensammelwut und dem permanenten Blick auf die Welt durch Bildschirmdisplays einen achtsamen Umgang mit digitalen Medien entgegenzusetzen, medienfreie Räume zu schaffen und die „direkte Zuwendung mit Herz und Hand“ zu pflegen. Statt einfach ein Verbot auszusprechen für stundenlanges „Zocken“ und „Daddeln“ am Smartphone spricht er sich allerdings dafür aus, dass Eltern den Heranwachsenden alternative Freizeitbeschäftigungen anbieten und die Bildschirmmedien nicht als „Babysitter“ missbrauchen.

„Digital Junkies“ ist ein sehr gut lesbares Fachbuch zum Thema Internetabhängigkeit und regt gleichzeitig dazu an, sich mit den positiven wie negativen gesellschaftlichen Änderungen durch die „digitale Revolution“ auseinanderzusetzen.

Bert te Wildt: „Digital Junkies. Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder“, Droemer Verlag, München 2015

Mehr Informationen: http://www.droemer-knaur.de/

 


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